Donald Trump schaut nur für sich und sieht sich doch als Volksführer. Er pusht die Wirtschaft, bekämpft aber die Globalisierung. Eine irre Kombination, findet Philosophieprofessor Dieter Thomä. In seinem Buch geht es um Störenfriede.
Stefan von Bergen
Donald Trump kommt in Ihrem Buch über die Geschichte der Störenfriede nur ein einziges Mal vor. Warum, Herr Thomä?Dieter Thomä: Ich habe das Buch im letzten April beendet, als Donald Trump erst auf dem Aufstieg war. Es ist mir beim Schreiben die ganze Zeit passiert, dass neue Störenfriede die Szene betreten haben. Mein Buch hilft hoffentlich, sie besser zu durchschauen.
Hätte Trump überhaupt hineingepasst? Ja. Er ist ein unglaublich interessanter und gefährlicher Störenfried. Er wäre ein krönender oder teuflischer Abschluss meines Buchs gewesen.
Ist Trump ein besondersteuflischer Störenfried? Er ist ein Störenfried mit zwei Gesichtern. Ich beschreibe in meinem Buch mehrere Typen, die gegen die bestehende Ordnung anrennen. So den egozentrischen Störenfried, der nur an sich denkt und sich freut, wenn er andere übers Ohr hauen oder Institutionen austricksen kann. Donald Trump ist dafür ein Beispiel. Er macht Dinge, die man sonst nicht macht, er beleidigt etwa Frauen und Behinderte. Seinen Anhängern vermittelt er: Ich bin so stark, dass mir niemand etwas anhaben und ich alle Regeln brechen kann.
Was ist das zweite Gesicht des Aufmischers Donald Trump? Er hält die Regeln, die er bricht, für korrupt. Er dreht also die moralische Bewertung von Regel und Regelbrecher gerade um und sagt: Wenn das System korrupt ist, dann ist derjenige, der die Regeln bricht, der Gute und nicht mehr der Böse. Er macht sich so zu einer Heilsgestalt, die für ein neues System steht, das er ankündigt und das da kommen wird.
Sie nannten Trump teuflisch. Er selber aber sieht sich als Heilsbringer. Das tönt übertrieben, ich weiss. Aber Trump hat sich in einer Wahlkampfrede in Florida selber so dargestellt. Er sagte, seine Freunde hätten ihn gewarnt, der Wahlkampf sei eine Reise in die Hölle, auf der er ständig im Sperrfeuer stehen werde. Dann fuhr er fort: Sie lagen falsch, es ist eine Reise in den Himmel – wörtlich: «A journey to heaven». Später formulierte er den ungeheuren Satz: «Ich werde alle Steine und Pfeile, die auf mich geschossen werden, für euch annehmen.»
So spricht Jesus, der sich für unsere Sünden kreuzigen liess. Genau. Im Januar erklärte Trump, er sei der grösste Jobproduzent, den Gott je geschaffen habe. Seit er im Amt ist, betont er: Es geht nicht um mich, ich stehe stellvertretend für die Grösse des amerikanischen Volkes. Das sind die zwei Gesichter Trumps: Er ist ein egozentrischer Trickster, der sich gleichzeitig als Heilsbringer und Anführer der Massen sieht. Eine irre Kombination.
«Donald Trump ist ein egozentrischer Trickster, der sich gleichzeitig als Heilsbringer des Volkes sieht.»
Dieter Thomä
Sie sagten, Trump kündige eine neue Ordnung an. Im Moment richtet er doch bloss mal ein ziemliches Chaos an. Ja, es gibt viel Chaos. Aber nicht in einem tröstlichen Sinne wie: Der Mann ist so chaotisch, das wird schon irgendwie schiefgehen. Der Eindruck von Chaos entsteht vielmehr deshalb, weil Trump mit seinem radikalen und aggressiven Programm viel durcheinanderbringt.
Was sind die Eckpunkte seines Programms? Donald Trump stellt aus dem Repertoire, aus dem sich US-Präsidenten normalerweise bedienen, zwei Schlagworte in den Mittelpunkt: die Nation – America first – und das Unternehmertum. Er inszeniert sich als Unternehmer, der die US-Wirtschaft wieder flottmacht, und als Anführer einer Nation, die zu alter Stärke zurückfindet.
Das ist doch normale Präsidentenrhetorik. Eben nicht. Nation und Unternehmertum passen nicht besonders gut zusammen. Unternehmertum baut heute auf die Globalisierung. Die Speerspitze des US-Unternehmertums im Silicon Valley ist hochnervös, weil für sie Innovation ohne Globalisierung undenkbar ist. Es ist ungewöhnlich, dass ein unternehmerfreundlicher Politiker zugleich globalisierungskritisch ist.
Macht das Trump zu einem ungewöhnlichen US-Präsidenten? Es gab noch nie einen so wirtschaftsfreundlichen und gleichzeitig so protektionistischen US-Präsidenten. Das ist sein Alleinstellungsmerkmal. Es kommt hinzu, dass er die anderen Konzepte, auf die sich US-Präsidenten sonst berufen, mit Verachtung straft. Etwa die Demokratie, auf die sich Barack Obama bezog. Sie kommt in Trumps Reden praktisch nicht vor.
Beunruhigt Sie Trump? Oder fasziniert er Sie? Er macht mich fast fertig.
Wie bitte? Warum? Wenn man sich näher mit ihm beschäftigt, wird sein Gebräu aus Demagogie, Raffinesse und Gemeinheit unerträglich. Ich denke, dass der Demokratie derzeit Gefahr droht und dass Trump dafür mitverantwortlich ist.
Sie glauben nicht, dass Donald Trump im Amt und durch die Politroutine abgeschliffen wird. Ich bin kein Prophet. Ich sehe zwei Möglichkeiten, die an Trumps Narzissmus gekoppelt sind. Die eine ist, dass er es zwar toll findet, Präsident geworden zu sein, das Amt aber ziemlich stressig findet. Er soll ja abends durchs Weisse Haus laufen und überlegen, ob er jetzt noch fünf Dossiers lesen oder doch eher fernsehen solle.
Das wäre ja irgendwie sympathisch, oder? Jedenfalls wäre es nicht so gefährlich. Ob es sympathisch ist, weiss ich nicht. Meine Erwartung an einen Präsidenten wäre schon, dass er Dossiers liest. Er hat aber schon erklärt, dass er nichts liest, was länger als zwei Seiten ist. Dass Trump die ganze Detailarbeit des Regierens scheut und er über kurz oder lang die Lust daran verlieren könnte, wäre ja vielleicht auch eine Chance für andere in seinem Regierungsteam – oder für den Rest der Welt.
Sie fürchten, dass Trump die Lust nicht so schnell verliert. Weil er Narzisst ist, begnügt er sich wohl nicht damit, das Präsidentenamt zu erringen, sondern will wissen, ob das Volk ihn für seine Amtsführung liebt oder nicht. Ein Narzisst findet nicht nur sich selber toll, er will, dass ihn auch die anderen toll finden.
Was haben Anhänger und Wähler eigentlich davon, einen Narzissten zu lieben, der vor allem für sich selbst schaut? In der amerikanischen Gesellschaft hat der rücksichtlose, toughe Erfolgsmensch eine lange Tradition. Amerikaner wollen gerne Selfmademen sein, die ihr Ding durchziehen. Wer ihnen das vorlebt, wird gefeiert und erhält Bewunderung.
«In der amerikanischen Gesellschaft wird der rücksichtslose Erfolgsmensch gefeiert und bewundert.»
Dieter Thomä
Warum glauben Leute mit tieferen Einkommen den Versprechen von Superreichen, wie Trump einer ist? Trump kann offenbar glaubhaft machen, dass er ein natürlicher Verbündeter der Leute ist, die viel weniger haben als er. Er ist tatsächlich ein Aussenseiter in der New Yorker Upperclass. Er ist ein Junge aus Queens, der nicht zur alten Finanzaristokratie oder zum traditionsreichen Grossunternehmertum gehört. Er ist der klassische Neureiche.
Das erinnert an Christoph Blocher, der auch reich wurde, ohne dem freisinnigen Establishment anzugehören. Es ist sicher so, dass die Attraktion, die von Christoph Blocher ausgeht, mit seiner Erfolgsgeschichte als Unternehmer zu tun hat. Allerdings sehe ich Blocher nicht als kaltschnäuzigen Trickster wie Trump.
Ist Blocher ein Störenfried? Die ganze SVP hat diese Rolle gespielt. Inzwischen ist sie so weit an der Macht, dass sie staatstragender werden muss.
Wer fühlt sich in den USA genau von Trump vertreten? Es waren nicht die Armen, die Trump gewählt haben. Sondern diejenigen, die Angst haben, ärmer zu werden. Er hat vor allem Erfolg bei der unteren Mittelschicht, die in einen Abgrund blickt, wenn sie nach unten schaut. Diese Leute fürchten, dass ihre Industriejobs wegbrechen und sie ihre Hypotheken nicht abzahlen können. Trump bedient sowohl deren Sehnsucht nach Stärke wie auch deren Angst vor Schwäche. Es ist ein raffiniertes, doppeltes Versprechen, das Trump abgibt: Er schützt sie mit wirtschaftlichem Protektionismus vor Jobverlust und Abstieg. Gleichzeitig nährt er mit seiner Vision von America first die Sehnsucht seiner Anhänger, nach oben zu kommen.
Trump sagt, er befinde sich in einem Krieg. Gegen wen? Gegen die Medien, gegen Ausländer, gegen Frauen, die er nicht attraktiv findet oder die ihn nicht toll finden. Wer sich gegenüber Trump ablehnend zeigt, bekommt dessen Verachtung zu spüren. Es ist auffällig, dass Trump Gegner, die ihm widerstehen, als Verlierer bezeichnet. Wenn Trump über die «New York Times» spricht, nennt er sie meist «the failing ‹New York Times›». Er stellt seine Gegner auf die Verliererstrasse. Das gehört zu einem Setting, in dem das Leben ein Kampf ums Überleben ist. Trumps Losung lautet: Entweder siegst du, oder die anderen tun es.
Das erinnert an Charles Darwins Kampf ums Überleben. Ja. Trump bezieht sich auch auf populär gewordene Sätze des britischen Philosophen Thomas Hobbes, den er wohl gar nicht kennt: «Das Leben ist ein Kampf aller gegen alle.» Oder: «Der Mensch ist des Menschen Wolf.» Den Kampf des Lebens kann man auf zwei Weisen beenden: Entweder schliesst man Frieden – oder man siegt. Trump will siegen. Er sieht überall Gegner, die er besiegen will: China, das den USA wirtschaftlichen Schaden zufügt, die Medien.
Donald Trump hat für Sie etwas Undemokratisches, ja Totalitäres. Warum? Ich bin vorsichtig mit solchen Schlagworten. Den Faschismusvorwurf, der schon erklingt, halte ich etwa für wenig hilfreich. Die Zeitumstände sind heute ganz anders als in den 1920er- und 1930er-Jahren. Trumps Geisteshaltung könnte man wohl als autoritär bezeichnen. Weil er die Gesellschaft unterteilt in die, die dazugehören, und jene, die ausgeschlossen sind. Auch das Wort Volksfeind, mit dem Trump kürzlich kritische Medien abqualifiziert hat, ist ein aggressiver Ausdruck mit dunkler Geschichte.
Ist «Volksfeind» nicht einfach eine provozierende Floskel? Trump hält sich durch seine Wahl dazu autorisiert, für das amerikanische Volk zu handeln. Er glaubt, dass sich in ihm verdichtet, was das Volk will. Da kann es undemokratisch werden. Denn das Volk hat nicht einfach eine Stimme, die durch Trump ertönt. Das Volk ist vielstimmig. Weil Trump sich als Stimme des Volkes sieht, ist sein bevorzugtes Regierungsinstrument ja auch das Dekret. Ist Ihnen schon aufgefallen, wie er jeweils seine Dekrete unterzeichnet?
«Trump sieht sich als Stimme des Volkes. Das Volk ist aber vielstimmig.»
Dieter Thomä
Wie? Mit dem jugendlichen Grinsen eines Mannes, der die Welt so bauen will, wie sie ihm gefällt. Er unterzeichnet etwas, und dann hat es Gesetzesstatus. Im Parlament oder in Gremien aber müsste er sich mit der anderen Seite der Demokratie beschäftigen: mit der Vielfalt von Meinungen, mit dem Kompromiss.
Der Störenfried stört den Frieden. Ist dieser Friede heute nicht oft ein fauler Friede von korrupten Machtkartellen und eitlen Parteipolitikern ohne Draht zu den Wählern? Wir befinden uns tatsächlich in einer Demokratiekrise. Der Auftritt populistischer Störenfriede ist deshalb auch ein Weckruf. Es ist nachvollziehbar, dass viele Menschen das Gefühl haben: Irgendwie werden wir von denen da oben nicht mehr vertreten.
Woher kommt dieses Gefühl? Den Politikern fällt es zunehmend schwer, glaubhaft zu machen, dass wirklich sie die Dinge entscheiden. Wenn es um die Macht geht, drängen sich viele Player ins Bild: Grosskonzerne, Lobbys, internationale Organisationen wie die EU. Im Übrigen hat die Demokratie auch selber für ihre Schwächung und Entmachtung gesorgt.
Wie das? Indem sie die wirtschaftliche Dynamik des letzten Jahrzehnts ungebremst zuliess und immer mehr Verantwortung an die Wirtschaft delegierte. In der Finanzkrise von 2008 schlug das Pendel dann zurück, Länder und Banken gerieten an den Rand ihrer Existenz, der Staat musste aufräumen, retten und regeln. Seither scheint er hinterherzuhinken, immer nur notdürftig zu flicken. In der Bevölkerung verdichtet sich deshalb der Eindruck, dass die demokratischen Institutionen kraftlos geworden sind.
Profitieren populistische Störenfriede von rechts wie Donald Trump von diesem Gefühl? Das ist leider so. Rechtspopulisten wie Trump stehen für eine Entkopplung von Demokratie und Nation.
Was muss man sich darunter vorstellen? Die Demokratie sprengt die Grenzen des Nationalen. Demokratische Rechte sind zum Beispiel Menschenrechte, die auch für Flüchtlinge gelten. Wenn wir also an die Demokratie, aber auch an eine globale Wirtschaft glauben, müssen wir über nationale Grenzen hinausblicken und Teile der nationalen Souveränität abgeben. Das braucht auch Mut. Denn es bedeutet, sich auf eine unübersichtliche Welt einzulassen. Wenn man dazu nicht bereit ist, landet man auf der Seite der Nation. Man will retten, was zu retten ist, man schottet sich ab, das ist die Strategie von Rechtspopulisten wie Donald Trump.
Sind die Störenfriede von heute eigentlich allesamt Rechtspopulisten? Im Moment scheint der Störenfried nur von rechts zu kommen. Wenn man aber aus einer Weitwinkelperspektive blickt, kann man feststellen, dass es eine Vielfalt und Dynamik gibt. Es gibt auch Linkspopulisten, Künstler, sympathische Rebellen. Man muss nicht alle Störenfriede fürchten oder anprangern. Es gibt auch solche, mit denen man sich anfreunden kann, weil sie die Demokratie beleben.
Könnte es sein, dass auch Donald Trump contre cœur die Demokratie belebt? Wenn Trump seine Kampfrhetorik und Verächtlichkeit weiterhin durchzieht, könnte es tatsächlich sein, dass er gerade eine Lust auf Widerstand und auf eine Erneuerung der Demokratie weckt.
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